Im Oktober 2015 haben sie sich zum ersten Mal gemeinsam getroffen: Unter der Federführung des Sozialdezernats der Stadt Ludwigshafen gab es den ersten Runden Tisch der PLUS-Gesundheitsinitiative Hepatitis C in Ludwigshafen.
Das gemeinsame Ziel: Die Versorgung der Drogengebrauchenden in Ludwigshafen verbessern, insbesondere im Bereich Hepatitis C. Nach fünf Jahren ist der große Erfolg der PLUS-Initiative in der Stadt eindrücklich. Die Therapierate unter Substituierten steigt jährlich – zuletzt lag sie im Jahr 2019 bei 43 Prozent.
Die ausführliche Pressemitteilung der Stadt Ludwigshafen hierzu lesen Sie hier.

Versorgung von Suchterkrankten mit Hepatitis C: Kooperationen und niedrigschwellige Angebote.
Für die Versorgung von Suchterkrankten mit Hepatitis C sind eine übergreifende Vernetzung und niedrigschwellige Angebote im Bereich der HCV-Therapie besonders wichtig.
Prof. Dr. Marcus-Alexander Wörns berichtet im Interview, wie in Mainz im Rahmen des PLUS-Projekts Versorgungshürden abgebaut wurden.
Versorgung von Suchterkrankten mit Hepatitis C: Kooperationen und niedrigschwellige Angebote
Die Elimination von Hepatitis C in Deutschland voranzutreiben, ist eines der Ziele des Aktionsbündnisses „Infection.Sucht.Versorgung“. Im Mittelpunkt steht die Verbesserung der Versorgungssituation und Lebensqualität von Suchterkrankten. Zu diesem Thema veranstaltete das Aktionsbündnis ein digitales Live-Event#: Expert*innen diskutierten disziplinübergreifend, wie ein Gesamtkonzept für Menschen mit Suchterkrankungen aussehen und realisiert werden kann. An der Veranstaltung nahmen Vertreter*innen aus Politik und Verbänden, Expert*innen aus der Suchtmedizin und Hepatitis-C-Behandlung sowie Apotheken und Drogenberatungsstellen teil. Das Fazit der Diskussionen: Wichtig sind vor allem die sektorenübergreifende Vernetzung zwischen den Akteur*innen und niedrigschwellige Angebote im Bereich der HCV-Therapie. Ein erfolgreiches Beispiel zeigt die PLUS-Gesundheitsinitiative.
Um Hepatitis C besiegen zu können, braucht es die Anstrengung von Vielen
Bei mehr als 60 Prozent der Neuinfektionen mit bekanntem Übertragungsweg ist eine Hepatitis-C-Infektion auf injizierenden Drogenkonsum zurückzuführen.1 Doch gerade Menschen mit Suchterkrankung sind oft schwer erreichbar für Diagnose und Behandlung.2 Und selbst nach einer Diagnose gehen noch immer viele Patient*innen für eine Therapie verloren, dabei ist Hepatitis C heute in nahezu allen Fällen schnell und gut verträglich heilbar.2 Umso wichtiger wäre es, ihnen den Zugang zu einer Therapie zu vereinfachen.
Patientenzentrierte Unterstützung: Die PLUS-Gesundheitsinitiative Hepatitis C
„Im Jahr 2021 sind wir noch weit entfernt vom Ziel einer Elimination3,4 der Hepatitis C und müssen mehr Patient*innen den Zugang zu einer Behandlung ermöglichen“, mahnte auch Professor Dr. Marcus-Alexander Wörns, Klinikdirektor der Klinik für Gastroenterologie, Hämatologie und internistische Onkologie und Endokrinologie, Klinikum Dortmund. Einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Situation könnten Mikroeliminationsprojekte leisten. Die PLUS-Gesundheitsinitiative (www.hcvversorgungplus.de) sei hierfür ein Beispiel. Letztere wurde im Jahr 2014 vom Caritasverband für Stuttgart e.V. und der Deutschen Leberhilfe e.V. gemeinsam mit dem Unternehmen AbbVie ins Leben gerufen. Die PLUS-Initiative fokussiert sich auf Patientengruppen mit erhöhter HCV-Prävalenz. Hier soll die Versorgung mit dem Ansatz der Mikroelimination nachhaltig verbessert werden. Dabei geht es beispielsweise um niedrigschwellige Tests und Aufklärungsangebote. Auch der gegenseitige Dialog und die Vernetzung lokaler Akteur*innen stehen im Fokus. Die Maßnahmen reichen von Kompetenztrainings und Informationsveranstaltungen rund um das Thema Hepatitis C bis hin zu Arbeitsangeboten für Betroffene. Dass sich Versorgungshürden für Risikogruppen mit Hilfe funktionierender Kooperationen und niedrigschwelliger Angebote tatsächlich erfolgreich abbauen lassen, zeigt das Beispiel der PLUS-Konzeptstadt Mainz – lesen Sie dazu das Interview mit Professor Dr. Marcus-Alexander Wörns. Professor Wörns war vor seiner aktuellen Tätigkeit in Dortmund Leitender Oberarzt an der I. Medizinischen Klinik und Poliklinik/Cirrhose Centrum Mainz (CCM) des Universitätsklinikums Mainz. In dieser Funktion hat er maßgeblich das PLUS-Projekt Mainz aufgebaut.
Interview mit Professor Marcus-Alexander Wörns
Die PLUS-Gesundheitsinitiative hat das Ziel, Menschen mit Hepatitis C aus Risikogruppen zu erreichen und deren regionale Gesundheitsversorgung nachhaltig zu verbessern. Was macht die Initiative aus Ihrer Sicht aus?
Prof. Wörns: Das Entscheidende bei der PLUS-Initiative ist meiner Meinung nach der ganzheitliche Aspekt. Es geht nicht nur um eine gesundheitliche, sondern auch um eine psychosoziale Versorgungsstruktur für Suchtkranke und HCV-Infizierte. Die Basis ist eine funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Ziel, niedrigschwellige Angebote zu ermöglichen – nicht nur im Bereich der Hepatitis-C-Diagnostik und -Therapie, sondern auch in einer Vielzahl anderer Lebensbereiche wie Wohnen, Arbeit, Freizeit, Arztstrukturen, Ernährung oder auch im Bereich des allgemeinen Gesundheitswissens.
Um welche Risikogruppen geht es bei PLUS insbesondere und was sind aus Ihrer Sicht die größten Hürden in Bezug auf Diagnostik und Therapie?
Prof. Wörns: Die Haupt-Zielgruppen des PLUS-Projekts sind Menschen mit aktivem Drogenkonsum oder/und einer Substitutionstherapie. Ein weiterer Bereich ist der Justizvollzug. Es sollen aber auch andere Gruppen angesprochen werden, z. B. Prostituierte oder Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben. Die Angst der Menschen vor Stigmatisierung und die Anbindung an den Behandler, die sogenannte Linkage-to-Care, stellen die wesentlichen Hürden für eine Diagnostik und Therapie dar.
Mainz ist PLUS-Konzeptstadt. Können Sie beschreiben, was Sie in diesem Rahmen umgesetzt haben?
Prof. Wörns: Wir haben durch die sehr enge Kooperation ein niedrigschwelliges Angebot im Bereich der HCV-Therapie für alle behandlungswilligen Substitutions-Patient*innen etablieren können. Die Heilungsraten, die wir sehen, sind dabei absolut vergleichbar mit den Zahlen, die aus den Studien bekannt sind.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aspekte, um Angebote niedrigschwellig zu halten und Klient*innen zur aktiven Teilnahme zu motivieren?
Prof. Wörns: Ganz entscheidend ist, dass die Betroffenen definierte und „gewidmete“ Ansprechpartner*innen haben. Weitere Erfolgsfaktoren sind eine funktionierende Kooperation, die kurzfristige Terminvergabe, ein möglichst kurzer Aufenthalt im Klinikum mit wenigen Kontakten und schließlich auch die Option, die HCV-Therapie im gewohnten Setting der Substitutionstherapie durchführen zu können.
Das Addendum zur DGVS-Leitlinie aus November 2020 empfiehlt, bei Erstdiagnose einer HCV-Infektion mit typischer Konstellation einer chronischen Infektion die antivirale Therapie umgehend zu beginnen. Wie gehen Sie bei Ihren eigenen Patienten und Patientinnen vor?
Prof. Wörns: Zunächst ist es für mich wichtig, die typische Konstellation einer chronischen HCV-Infektion nochmal darzustellen, d. h. das Fehlen einer klinischen und laborchemischen akuten Hepatitis. Für die vergangenen 6 Monate gilt, dass die Anamnese hinsichtlich potenzieller Infektionsmöglichkeiten leer sein und es laborchemisch keine Hinweise auf eine Serokonversion geben sollte. Sind diese Punkte erfüllt, kann entsprechend der aktuellen Leitlinie umgehend mit einer Therapie begonnen werden. So handhaben wir es auch bei nahezu allen Patient*innen.
Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie: Gab es hier Änderungen in Ihrem Konzept, um den Zugang zu einer HCV-Therapie für Betroffene noch weiter zu vereinfachen?
Prof. Wörns: Tatsächlich hat sich hier etwas verändert. Die modernen pangenotypischen Regime lassen es heutzutage zu, unter einer Optimierung der Medikamenten- und Rezeptvergabe einen „One-Stop-Shop“ zu etablieren, d. h. sowohl die Sichtung der Klient*innen als auch der Therapiestart finden in nur einem Kontakt statt. Die weitere Steuerung der Therapie erfolgt dann auf digitalem Weg, ohne weiteren Patient*innenkontakt im Klinikum. Der Rest kann vor Ort in der Substitutionseinrichtung erfolgen.
Künftig haben Versicherte ab 35 Jahren einmalig den Anspruch, sich auf Hepatitis C als Bestandteil der Allgemeinen Gesundheitsuntersuchung (ehemals: Check-up 35) testen zu lassen. Was sollte getan werden, diese Möglichkeit auch breit angenommen wird?
Prof. Wörns: Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass die Möglichkeit zur Testung immer wieder kommuniziert wird. Außerdem muss die Testung entstigmatisiert werden. Hierfür sollten Übertragungsmöglichkeiten auch abseits der Tabu-Themen „intravenöser Drogenkonsum“ oder „sexuelle Kontakte“ aufgezeigt werden, um eine breite Akzeptanz für die Testmöglichkeit in der Allgemeinbevölkerung zu schaffen.
Ziel der WHO und auch der Bundesregierung ist es, Hepatitis C bis zum Jahr 2030 zu eliminieren. Welches Handwerkszeug fehlt uns hierfür noch in Deutschland?
Prof. Wörns: Die Einführung des Screenings im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung ist für mich ein ganz wichtiger Schritt. Unabhängig davon sollte in den bekannten Risikokollektiven mehr und vor allem regelmäßig getestet werden. Wenn schließlich die Diagnose steht, muss auch zügig die Therapie eingeleitet werden. Für diesen Linkage-to-Care, d. h. die Verknüpfung zwischen positiver Diagnose und Therapie, besteht allerdings noch dringender Verbesserungsbedarf. Ansonsten sind aus meiner Sicht alle Handwerkszeuge in Deutschland vorhanden. Es fehlt nur in einigen Bereichen an der entschlossenen Umsetzung. Hier leistet die PLUS-Initiative einen ganz wichtigen Beitrag.
1 Zimmerman, R, et al. (2020) Robert-Koch-Institut (RKI). Epidemiologisches Bulletin Nr. 30/31, 23. Juli 2020; 18-31.
2 Sarrazin C et al. (2020). Z Gastroenterol 58: 1107-1131.
3 World Health Organization (2017). Global Hepatitis Report.
4 Bundesministerium für Gesundheit, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2016). BIS 2030 – Strategie zur Eindämmung von HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen.
Experten definieren folgende sechs Forderungen an die Politik, um eine Elimination von Hepatitis C bis 2030 auch im Suchtumfeld realisieren zu können:
- Deutschland braucht ein umfassendes Hepatitis-C-Screening
- Hepatitis-C-Antikörpertests müssen wieder budgetneutral werden
- Stärkung präventiver Maßnahmen gegen „Needle-Sharing“
- Konzertierte Maßnahmen gegen Hepatitis C in Haft
- Bessere Maßnahmen für eine nachhaltige Substitution
- Deutschland braucht eine Informationskampagne zur Aufklärung über Hepatitis C
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